Es gilt das gesprochene Wort.
Als ich den FAIR SHARE Monitor zum ersten Mal bewusst wahrnahm, da fiel mir die Bergpredigt ein. Und zwar die Stelle, wo es heißt: "Warum siehst du den Splitter im Auge deines Bruders, aber den Balken in deinem Auge bemerkst du nicht?" Das mag Ihnen vielleicht jetzt etwas katholisch vorkommen. Aber für mich ist es genau das, was der FAIR SHARE Monitor seit fünf Jahren macht. Sie sind eine zivilgesellschaftliche Organisation, die untersucht, ob zivilgesellschaftliche Organisationen sich an ihre eigenen Regeln halten. Oder ob sie einen Balken im eigenen Auge haben. Einen Balken bezüglich Gleichstellung in der eigenen Organisation.
Und das zeigt Wirkung. Deshalb freue ich mich sehr, heute anlässlich des fünfjährigen Jubiläums bei Ihnen zu sein. Hier bei der Robert Bosch Stiftung - vielen Dank auch an Sie für die Gastfreundschaft! Den Balken im eigenen Auge suchen Sie mithilfe von Daten. Sie machen transparent, wieviel Frauen in Belegschaften von NGOs und Stiftungen arbeiten, und wieviel Frauen auf der Führungsebene derselben Organisationen sind. Wenn eine Organisation dann bei der Belegschaft einen Frauenanteil von 69 Prozent hat - was in zivilgesellschaftlichen Organisationen der Durchschnitt ist - auf der Führungsebene aber nur einen Frauenanteil von 40 Prozent: Dann ist das eben nicht der der faire Anteil.
Dieses Transparentmachen von Ungleichgewichten bei der Gleichstellung ließ auch die 222 Organisationen nicht kalt, die mitgemacht haben. 40 Prozent gaben an, dass die Monitor-Ranking- Position nach der Veröffentlichung innerhalb der Organisation Diskussionsthema war. Diese internen Debatten führten anscheinend auch zu Konsequenzen.
Denn jetzt, fünf Jahre nach dem ersten Monitoring der Geschlechterverteilung bei Führungspositionen deutscher NGOs, wurde die 40 Prozent Schwelle beim Frauenanteil überschritten: Der Anteil beträgt jetzt 42 Prozent. Natürlich ist es noch ein gutes Stück des Weges bis zum fairen Anteil, der dem weiblichen Prozentanteil in der Belegschaft entspricht. Aber mich freut, dass sich doch sehr viele an der Ehre gepackt fühlen. 30 Organisationen aus der Zivilgesellschaft habe sich sogar selbst eine besondere Verpflichtung auferlegt: Sie wollen den fairen Anteil in ihren Führungsgremien bis 2030 erreichen. Besonders freut mich als Volkswirtin und langjährige finanzpolitische Sprecherin der grünen Fraktion die Botschaft: Zahlen überzeugen!
Daten und Transparenz schärfen den Blick für bestehende Ungerechtigkeiten. Zahlen lösen den Balken im Blickfeld auf. Das freut mich auch, weil der Datenjournalismus beispielsweise ein Feld ist, das boomt. Das erscheint mir auch durchaus als Hoffnung machendes Gegengift zu den Fake News unserer Zeit. Denn auch im Journalismus habe ich mich manches Mal gewundert, wie hämisch ein Wochenmagazin beispielsweise über den "Gruppenbild ohne Dame"-Führungsstab des Bundesinnenministeriums (BMI) unter Horst Seehofer berichtete. Dabei aber offensichtlich den Frauenanteil im eigenen Impressum ausblendete, der auch noch weit von jeder Parität entfernt war. Der Erfolg des FAIR SHARE Monitors freut mich auch, weil es häufig nicht populär ist, Menschen auf den Balken im eigenen Auge hinzuweisen. Genauso wenig, wie auf sie auf eigene Vorurteile hinzuweisen. Der Hinweis auf die eigenen Vorurteile oder eigenen Inkonsequenzen erzeugt erst einmal einen gewissen inneren Widerstand - das kennen vermutlich viele auch von sich selbst. Dabei sind Vorurteile menschlich: Mensch muss nur bereit sein, sie zu überprüfen und zu revidieren - und dann idealerweise ins Handeln zu kommen. Das ist nicht einfach, doch beim FAIR SHARE Monitor hat er funktioniert. Bei uns als Bundesregierung tut es das auch.
Für unsere Bundesverwaltung lautet das Ziel: Wir wollen eine Parität von 50 Prozent der Führungspositionen bis Ende 2025. Wir haben als erste Maßnahme des zweiten Führungspositionengesetzes - kurz FüPo 2025 - das Monitoring ausgebaut. Wir erheben jetzt halbjährlich Zahlen zu Frauen in Führungspositionen in der gesamten Bundesverwaltung und im nachgeordneten Bereich: Insgesamt sind das über eine halbe Million Beschäftigte. In der Bundesverwaltung sind 55 Prozent der Beschäftigten Frauen. In den Führungspositionen liegt der Frauenanteil bei 45 Prozent. Von der Hälfte der Macht trennen uns also jetzt noch fünf Prozent. Ein zentrales Instrument dafür ist das Führen in Teilzeit. Eine noch zu wenig genutzte Lösung, um Familienfreundlichkeit, Work-Life-Balance und Fachkräftemangel unter einen Hut zu bringen. Deshalb haben wir mit dem Harriet-Taylor-Mill Institut ein Projekt durchgeführt, wie geteilte Führung und alleiniges Führen in Teilzeit gelingen kann. Daraus ist ein Handlungsleitfaden entstanden, der wir jetzt im Juni veröffentlichen. Auch für die Privatwirtschaft hat das zweite Führungspositionengesetz einiges geändert. Vorstände von börsennotierten Unternehmen mit mindestens drei Mitgliedern müssen jetzt einen weiblichen Vorstand haben. Unternehmen müssen begründen, wenn sie keine Frauen in den Vorstand berufen. Ohne fundierte Begründung werden sie sanktioniert. Die feste Geschlechterquote von 30 Prozent in Aufsichtsräten ist auf Unternehmen mit Mehrheitsbeteiligung des Bundes und Körperschaften des öffentlichen Rechts ausgeweitet worden. Das Mindestbeteiligungsgebot wird von fast allen Unternehmen schon erfüllt. Bei den Unternehmen der Privatwirtschaft stieg durch das zweite Führungspositionengesetz der Frauenanteil in Aufsichtsräten auf jetzt 36 Prozent. Das zeigt einmal mehr: Monitoring und Transparenz helfen, um mehr Frauen in Führungspositionen zu bringen. Wo das nicht hilft, braucht es die Quote: Für die, die den Balken im eigenen Auge, partout nicht erkennen können. Ich las im FAIR SHARE Monitor, dass es drei Organisationen gab, die nicht mehr nach dem Frauenanteil in den Führungspositionen gefragt werden wollen. Das sind wohl die mit dem dicksten Balken.
Die Zahlen, die Transparenz, die Quoten - was bringt uns das alles? Nun natürlich mehr Geschlechtergerechtigkeit, endlich Gleichstellung - doch ich hoffe noch auf mehr: Wir stehen durch die Klimakrise vor riesigen Transformationsaufgaben: Wir müssen viel verändern, um die Katastrophe zu verhindern. Es gibt viele Umfragen, die zeigen, dass Frauen sich der Klimakrise bewusster sind - und oft auch bereiter, persönliche Einschnitte für sich selbst in Kauf zu nehmen. Deshalb ist es in dieser Transformationsphase so wichtig, dass immer mehr Frauen in Entscheidungspositionen sind. Dazu kommt noch: Eine der größten Herausforderungen der sozial-ökologischen Transformation ist, die Schwächsten nicht zu überfordern. Die Klimakrise trifft Frauen und Männer deshalb durchaus unterschiedlich.
Denn Frauen haben nach wie vor durchschnittlich weniger Einkommen und Vermögen als Männer. Deshalb wird die Frage, wie die Klimakrise die Gleichstellung beeinflusst, die zentrale im Vierten Gleichstellungsbericht der Bundesregierung sein. Wir erwarten die Ergebnisse Anfang 2025. Die vorherigen Gleichstellungsberichte haben wichtige Debatten angestoßen - zum Beispiel wie Sorgearbeit verteilt wird. Solche Impulse erhoffe ich mir auch vom neuen Bericht. Denn Balken in der Wahrnehmung können wir weder bei der Gleichstellung noch bei der Klimakrise gebrauchen.