Wegweiser Demenz Alltagssituationen bei Menschen mit Demenz

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[Die Einblendungen "Alltagssituationen bei Menschen mit Demenz" und "Umgang mit Angst" erscheinen. Eine Gruppe älterer Menschen sitzt am Frühstückstisch und isst.]
[Der Leiter des Dialog- und Transferzentrums Demenz, Detlef Rüsing, spricht in die Kamera.]

Detlef Rüsing:

Die Demenz ist sozusagen das Paradebeispiel dafür, ständig Fremdheit zu erleben. Also wenn Sie abends ins Bett gehen und Sie denken, alles ist in Ordnung, wachen Sie am nächsten Morgen auf und haben keine Ahnung mehr, wem dieses Bett gehört, wie Sie dahin gekommen sind und so weiter. Dann hilft es in der Regel nicht, wenn wir ihm sagen: Du brauchst keine Angst zu haben. Was aber in der Regel hilft, wenn Sie sich daneben setzen, wenn Sie ihm die Hand halten, wenn Sie ihm sozusagen darüber ein Gefühl, durch Ihre Anwesenheit und durch Sie selbst ein Gefühl von Sicherheit und Orientierung geben.

[Die Einblendung "Umgang mit Wahnvorstellungen" erscheint. Eine ältere Frau steht mit einer Pflegerin im Gang eines Pflegeheims.]

Detlef Rüsing:

Grundsätzlich sollte ich Menschen mit Demenz nicht belügen, nicht anlügen und nicht in den Wahn einsteigen. Also, da sieht jemand im Spiegel jemanden und, obwohl er das selber ist, erkennt sein Spiegelbild nicht mehr und sagt: Da ist er wieder, der verfolgt mich jedes Mal, wenn ich in den Raum komme. In solchen Fällen kann es manchmal ein einfacher Tipp sein, tatsächlich einfach den Spiegel abzuhängen. Zumindest ist es ein erster Versuch. Und jetzt würde jemand, der damit reingeht, der also quasi lügt, in den Wahn einsteigt, der würde dann sagen: Ja, aber den kenne ich, der ist nicht so schlimm, der arbeitet hier, der guckt nur eben um die Ecke, brauchen Sie sich keine Sorgen zu machen. Das geht nicht. Die Wissenschaftler schlagen vor, wir lügen die nicht an, sondern wir versuchen das, was hinter dem Wunsch, was hinter dieser Herausforderung steht, herauszukriegen wovor hat der eigentlich wirklich Angst? Und wenn das alles nicht klappt, dann kann ich, weil es manchmal Situationen gibt, wo sich Menschen mit Demenz auch in Lebensgefahr bringen, kann ich dann zu solch einer Notlüge greifen, damit Menschen sich nicht selbst in Gefahr bringen.

[Die Einblendung "Kommunizieren mit demenziell Erkrankten" erscheint. Eine ältere Frau und ein Pfleger sitzen am Tisch und spielen Memory.]

Detlef Rüsing:

Wir haben sozusagen Bilder in unserem Kopf, also vom Apfel, von einer Flasche, von einer Kamera oder wie auch immer und haben dazu einen Begriff. Und im Fortlauf der Demenz ist es so, dass ich diese Bilder immer noch habe, aber es gehen immer mehr Begriffe verloren. Und irgendwann fange ich an, die restlichen Begriffe, die ich noch habe, für alles Mögliche zu benutzen, was ich sehe. Das heißt, da möchte ein Mensch mit Demenz Ihnen sagen: Nehmen Sie doch mal die Flasche. Und sagt aber zu Ihnen: Möchten Sie auch den Koffer? Je weiter die Demenz voranschreitet, desto wichtiger wird, wie ich etwas sage und desto unwichtiger wird, was ich sage. Die große Chance, die Sie haben, ist, bei Menschen mit Demenz, dass ganz, ganz lange die Emotionen erhalten bleiben und Gestik und Mimik. Wenn Sie zum Beispiel zu jemandem sagen: Möchtest du was trinken? Dann würde man sagen: Möchtest du etwas trinken? Und man würde dort hinzeigen, dass man das auf diese Art und Weise macht. Und dann kann man sich häufig noch sehr, sehr, sehr lange verständlich machen.

[Die Einblendung "Begegnungen mit Menschen mit Demenz" erscheint. Eine Pflegerin und ein älterer Mann sitzen auf einem Sofa und lachen.]

Detlef Rüsing:

Es geht bei der Pflege von Menschen, und insbesondere bei der Pflege von Menschen mit Demenz, geht’s um Begegnungen. Emotionen sind einfach unsere große Chance, weil wir uns dort begegnen können, ohne all die Masken, ohne all das, was drum herum ist, ohne dass einer mehr ist als der andere und das, was wir früher mal gelernt haben, du darfst die Dinge nicht zu nahe an dich herankommen lassen. Aber wenn Sie Dinge nicht berühren, dann können Sie keinem begegnen, das geht überhaupt nicht. Und das spüren Menschen mit Demenz. Die spüren ganz genau, ob Sie demjenigen mit offenen Armen begegnen oder nicht.

[Die Einblendung "Essen und Trinken bei Demenz" erscheint. Ein Pfleger bietet einer älteren Frau Saft an. Die ältere Frau trinkt etwas aus einem Glas.]

Detlef Rüsing:

Wir wissen natürlich zum Beispiel, dass Demenzerkrankte häufig zu wenig trinken, häufig zu wenig essen. Das hat natürlich etwas damit zu tun, dass offenbar auch - und das wissen wir auch vom Alter - natürliches Durstgefühl zum Beispiel nachlässt bei vielen. Wir wissen aber auch, dass das mit verschiedenen Dingen zu tun hat. Es hat auch etwas damit zu tun, wie Essen angerichtet ist. Wenn Sie die Portionen nicht zu groß machen auf dem Teller, dann essen die Leute eher. Wir wissen, wenn wir Kontraste machen, also keine weißen Kohlrabi auf weißen Tellern.

[Eine Pflegerin reicht einer älteren Frau im Rollstuhl einen Teller mit Fingerfood. Naheinstellung eines Tellers mit bunt angerichtetem Essen.]

Das heißt, dass zwischen dem Essen und dem Teller ein Kontrast besteht, dass das Essen besser gesehen wird und besser wahrgenommen wird. Zum Beispiel, dass bunte Schorlen eher getrunken werden als Mineralwasser. Lassen Sie denjenigen entweder teilnehmen am Kochen oder zumindest dabeisitzen. Durch das Riechen ihres leckeren Essens kommt es zum Speichelfluss und dann haben die Leute mehr Appetit. Auch bei Ihnen und bei mir spielt es eine Rolle, neben wem ich sitze, wenn ich esse, wie laut es ist, wenn ich esse. Viele dieser Rahmenbedingungen spielen einfach eine Rolle.

[Die Einblendung "Wegweiser Demenz, weitere Informationen: www.wegweiser-demenz.de" erscheint.]