Nur noch 10 Minuten! Welcher Elternteil kennt diesen Satz nicht. Der Medienkonsum von jungen Menschen stellt die gesamte Fachszene des Kinder- und Jugendmedienschutzes vor Fragen. Welche Nutzungszeiten sind „normal“? Ab wann sprechen Expertinnen und Experten von einer „Mediensucht“? Und wie können Kinder und Jugendliche vor einem exzessiven Medienkonsum geschützt werden, ohne dass ihnen ihr Recht auf digitale Teilhabe abgesprochen wird?
„Eine altersgerechte Mediennutzung bietet jungen Menschen zahlreiche Chancen. Sie finden einen Ort, sich auszutauschen, sich zu informieren und sich zu vernetzen. Damit einher geht aber auch das Risiko, dass sie durch ein Überangebot, die Schnelllebigkeit sowie die „Always-On“-Mentalität überfordert werden und so den Überblick über die Nutzungsdauer verlieren. In der BzKJ suchen wir daher aktiv den Austausch mit der Fachszene, um gemeinsam Lösungen zu finden, wie wir die jungen Menschen vor einem Kontrollverlust schützen können, ohne sie in ihren Rechten und Chancen zu beschneiden“,
so Sebastian Gutknecht, Direktor der BzKJ.
Die ZUKUNFTSWERKSTATT der BzKJ widmete sich diesem Thema am 6. Dezember 2024 in der digitalen Auftaktveranstaltung „Nur noch 10 Minuten! – Exzessive Mediennutzung bei Kindern und Jugendlichen“ im Rahmen der Schwerpunktstrecke „Kontrollverlust in digitalen Umgebungen“. Die Beiträge der vorliegenden BzKJAKTUELL sind von den Referierenden der Veranstaltung verfasst worden und beleuchten aus unterschiedlichen Perspektiven die Mediennutzung junger Menschen.
Digitale Welten im Übermaß?! Exzessive Nutzung von Games und Co.
Im ersten Schwerpunktbeitrag betrachtet Petra Müller das Mediennutzungsverhalten junger Menschen und stellt die Ergebnisse der von der Kommission für Jugendmedienschutz (KJM) beauftragten Studie „Förderung von exzessivem Nutzungsverhalten bei Games“ sowie daraus resultierende Empfehlungen vor.
Einige Anregungen aus der Studie sind bereits in die Praxis eingeflossen. Beispielsweise erhalten Games, die glücksspielähnliche Mechanismen enthalten oder durch ihre strukturelle Ausgestaltung ein exzessives Mediennutzungsverhalten fördern können, eine höhere Alterseinstufung. Dennoch bedarf es angesichts der sich rasant entwickelnden Medienwelt immer wieder neuen Diskussionen über die gesellschaftlichen Grundlagen, Werte und Schutzansprüche des Kinder- und Jugendmedienschutzes, immer unter Berücksichtigung der Kinderechte auf Schutz, Befähigung und Teilhabe im digitalen Raum.
Von der Gaming Disorder bis zur digitalen Schuluniform
Im zweiten Schwerpunktbeitrag setzt sich Professor Dr. Christian Montag von der Universität Ulm mit dem Begriff der Computerspielsucht, der „Gaming Disorder“ sowie mit der exzessiven Nutzung sozialer Medien und mobiler Endgeräte im schulischen Kontext auseinander.
Er spricht sich dafür aus, dass junge Menschen lernen müssen, was Künstliche Intelligenz ist, woran sie Fake News erkennen und wie das Datengeschäftsmodell der sozialen Medien funktioniert, um zu mündigen Bürgerinnen und Bürgern in digitalen Gesellschaften heranzuwachsen. Dabei beleuchtet Montag auch den sinnvollen Einsatz digitaler Lernmethoden im schulischen Kontext.
Mediennutzung junger Menschen im Spannungsfeld von Schutz, Stigmatisierung und Teilhabe
Maja Wegener von der Bundesarbeitsgemeinschaft Kinder- und Jugendschutz e. V. benennt im dritten Schwerpunktbeitrag auf Grundlage des Positionspapiers „Du bist doch süchtig!“ Bedarfe und Forderungen für einen verantwortungsvollen Umgang mit dem Begriff der Mediensucht aus der Perspektive des erzieherischen Kinder- und Jugendschutzes.
Sie stellt die komplexen Herausforderungen an die Mediennutzung junger Menschen heraus, welche zur Bewältigung ein ausgewogenes Maß an Schutz, Befähigung und Teilhabe erfordern. Sie betont, dass sich die Stigmatisierung von jungen Menschen als „mediensüchtig“ sowohl in der Prävention als auch bei Hilfsangeboten kontraproduktiv auswirkt. Zudem müssen Zugänge zu Informations- und Hilfsangeboten bei einem problematischen Nutzungsverhalten möglichst vorurteilsfrei und niedrigschwellig sein. Des Weiteren nimmt Wegener die Anbieter und gleichermaßen alle gesellschaftlichen Akteurinnen und Akteure in die Pflicht, um Kindern und Jugendlichen eine nachhaltige und sichere digitale Teilhabe zu gewährleisten.
Internetnutzungsstörung – Sozialarbeiterische Praxis im Kontext exzessiver Mediennutzung
Im vierten Schwerpunktbeitrag geben Ina Busack und Dimitrij Müller vom Zentrum für Verhaltenssucht der Caritas Berlin Einblicke aus der sozialarbeiterischen Praxis zu den Themen der exzessiven Mediennutzung sowie Internetnutzungsstörung.
Aus ihren Erfahrungen in der praxisnahen Arbeit mit jungen Menschen heraus sehen sie vor allem einen Bedarf an Orten, an denen sich Jugendliche und junge Erwachsene aufhalten können, um sich über ihr Mediennutzungsverhalten auszutauschen, ihr eigenes Verhalten kritisch zu hinterfragen und um Hilfe zur Eigenreflektion zu erhalten. Schlussendlich sollen sie durch Eigenverantwortung bei einem gesunden und bewussten Umgang mit digitalen Medien unterstützt werden.
Warum Apps Teil der Lösung für exzessiven digitalen Konsum bei Jugendlichen sind
In der Rubrik „Wissenswert“ stellen David Grüning und Frederik Riedel die durch die BzKJ geförderte Interventions-App „one sec“ vor und erläutern, warum Apps Teil der Lösung für exzessiven digitalen Medienkonsum bei jungen Menschen sein können.
Grüning und Riedel erklären, wie eine App als technische Lösung ergänzend neben Prävention und Aufklärung dabei helfen kann, dass eigene Mediennutzungsverhalten, vor allem im Hinblick auf eine exzessive Social-Media-Nutzung, zu reflektieren. Dabei stellen sie verschiedene Möglichkeiten zur Unterbrechung in gegebenen Nutzungsmustern vor. „one sec“ kann sowohl Erwachsenen als auch Jugendlichen dabei helfen, bewusst einen Moment innezuhalten und die weitere Mediennutzung zu überdenken.
Jahresstatistik 2024 der Prüfstelle für jugendgefährdende Medien
Die Jahresstatistik bildet die Arbeit der Prüfstelle für jugendgefährdende Medien bei der BzKJ für das Jahr 2024 ab. Mit insgesamt 1.180 durchgeführten Verfahren im Jahr 2024 sind alle Verfahren erfasst, die zur Aufnahme in die Liste jugendgefährdender Medien geführt haben sowie Folgeindizierungen, Listenstreichungen, Nichtindizierungen, Verfahrenseinstellungen und Verfahren infolge eines Antrags auf Entscheidung in voller Besetzung.
Inhaltlicher Schwerpunkt bei der Aufnahme in die und bei dem Verbleib in der Liste jugendgefährdender Medien waren kinder- und jugendpornografische Inhalte gefolgt von Medien mit nationalsozialistischem Gedankengut sowie einfacher Pornografie und Gewalt.
Die Jahresstatistik ermöglicht Hinweise auf jugendmedienschutzrelevante Entwicklungen und gesellschaftliche Veränderungen. Die Veröffentlichung richtet sich an verschiedene Interessengruppen wie zum Beispiel antrags- und anregungsberechtigte Stellen, medienpädagogisch Tätige, Wissenschaft und Forschung sowie Interessierte aus dem Bereich Kinder- und Jugendmedienschutz.
„Aktuelles aus der Spruchpraxis – „Vereinfachte Verfahren“ im 3er-Gremium der Prüfstelle für jugendgefährdende Medien“
Der Beitrag in der Rubrik „Spruchpraxis“ gibt aktuelle Einblicke in die Spruchpraxis der Prüfstelle für jugendgefährdende Medien im Bereich der „vereinfachten Verfahren“ durch das 3er-Gremium.
Im Juli 2024 prüfte das 3er-Gremium eine im Jahr 2023 erschienene CD aus dem Genre Rock/Metal mit 16 deutschsprachigen Titeln. Entgegen dem Antrag des Verfahrensbeteiligten wurde die CD im vereinfachten Verfahren geprüft. Die Vorsitzende der Prüfstelle hatte entschieden, dass sich die Eignung des Mediums zur Jugendgefährdung aus der Anwendung der ständigen Spruchpraxis des 12er-Gremiums ohne weiteres herleiten lasse und damit offensichtlich sei. Im Ergebnis wurden sieben von 16 Titeln als jugendgefährdend eingestuft, da diese den Nationalsozialismus und den Krieg verherrlichten beziehungsweise verharmlosten und verrohend wirken.
Zudem erfolgte im August 2024 eine Folgeindizierung eines PC-Spiels, welches im Jahr 1999 wegen sozialethischer Desorientierung in die Liste jugendgefährdender Medien aufgenommen wurde. Das 3er-Gremium hat eine verrohende und zu Gewalt anreizende Wirkung des PC-Spiels auch nach heutigen Maßstäben und trotz einer veralteten grafischen Darstellung angenommen, da das Töten von Personen im Mittelpunkt stehe.
Aus der ZUKUNFTSWERKSTATT
Die Rubrik „ZUKUNFTSWERKSTATT“ bietet im Schwerpunkt einen zusammenfassenden Beitrag zu den Ausführungen und Ergebnisse der Auftaktveranstaltung im Themenbereich „Exzessive Mediennutzung bei Kindern und Jugendlichen“ vom 6. Dezember 2024.
An der digitalen Veranstaltung nahmen rund 130 Personen teil. Gemeinsam diskutierten die Expertinnen und Experten aus der Fachszene, Vertreterinnen und Vertreter von Jugendlichen (JUUUPORT-Scouts) sowie Vertretende von Google/YouTube und Snap über die Ursachen und Auswirkungen einer exzessiven Mediennutzung bei jungen Menschen.
Privatpersonen können Einzelhefte sowie ein Jahresabonnement der BzKJAKTUELL als Print- und / oder als Digitalausgabe erwerben. Weitere Informationen zur Fachzeitschrift und zu den Bezugsmöglichkeiten stehen ebenfalls im Servicebereich auf der Website der BzKJ zur Verfügung.
Über die BzKJAKTUELL
Die Fachzeitschrift BzKJAKTUELL wird von der Bundeszentrale für Kinder- und Jugendmedienschutz (BzKJ) herausgegeben. Sie enthält den öffentlichen Listenteil der aktuellen Indizierungen von Filmwerken, Spielen, Schriftwerken, Tonwerken und Multimediawerken. Im redaktionellen Teil bietet sie mit Fachbeiträgen aus Praxis, Wissenschaft und Politik ein offenes Diskussionsforum für das breite Spektrum kinder- und jugendmedienschutzrelevanter Themen, Entwicklungen und Haltungen.